Die Schattenseiten der Selbstmedikation

Um die Praxisgebühr zu sparen, versuchen viele Deutsche den Besuch beim Arzt zu vermeidenImmer mehr Kranke wollen den Besuch beim Arzt vermeiden und versuchen, sich mit frei verkäuflichen Mitteln zu kurieren. Das hat Nebenwirkungen: Viele Krankheiten werden verschleppt.

Für immer mehr Patienten ist die Rechnung einfach. Bei gesundheitlichen Beschwerden sparen sie sich erst einmal den Weg zum Arzt und damit die fällige Praxisgebühr. Stattdessen versuchen sie sich selbst mit frei verkäuflichen Medikamenten über Wasser zu halten. „Wir beobachten seit Inkrafttreten der Gesundheitsreform vor einem Jahr den Trend, dass Krankheiten immer mehr verschleppt werden“, sagt Dieter Conrad, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Hessen.

Auch eine Emnid-Umfrage unter rund 500 niedergelassenen Ärzten kam zu diesem Ergebnis. 40 Prozent der Befragten registrierten bei ihren Patienten verstärkt Symptome, die auf eine Verschleppung von Krankheiten hindeuteten. So seien beispielsweise vermehrt schwerere Verläufe von Atemwegsinfektionen festgestellt worden. Laut Conrad waren zwar im vergangenen Jahr 6,7 Prozent weniger Patienten in hessischen Arztpraxen. Die Arztkontakte pro Patient seien jedoch um 1,3 Prozent gestiegen – ein Hinweis darauf, dass viele Krankheiten verschleppt werden und daher einer intensiveren Behandlung bedürfen.

Wechselwirkungen drohen

Die Patienten vertrauen jetzt tatsächlich vermehrt auf frei verkäufliche Arzneimittel. Die Apotheker verbuchen nach Angaben ihrer Bundesvereinigung bei der Selbstmedikation einen Anstieg von bis zu fünf Prozent. Doch die Eigenbehandlung ohne ärztlichen Rat hat ihre Tücken: Mitunter drohen unangenehme Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Grundsätzlich sollten Patienten nur bei leichten Beschwerden Arzneien einnehmen, ohne den Arzt zu befragen. Die Selbstmedikation sollte dann auch nur über einige Tage erfolgen. Verschlechtert sich der Zustand oder tritt keine Besserung auf, sollte unbedingt ein Arzt aufgesucht werden. Chronisch Kranke sollten immer medizinischen Rat einholen.

Jeder fünfte Patient verheimlicht Medikamente

Doch selbst wenn schließlich der Arzt aufgesucht wird, erfährt der Mediziner nicht immer von allen Medikamenten, die der Patient einnimmt. So hat eine kleine Studie der Universität Basel an Krankenhauspatienten ergeben, dass mindestens jeder Fünfte Medikamente eingenommen hat, von denen der Arzt nichts wusste. Bei 20 Prozent wurden in Urinproben Medikamente nachgewiesen, die in der Krankenakte nicht vermerkt waren. „Bei 40 Prozent war die Einnahme während des Krankenhausaufenthaltes wahrscheinlich“, sagt Walter E. Haefeli, Klinischer Pharmakologe an der Universität Heidelberg und Initiator der Studie.

Vor allem Rückstände von Schmerz-, Beruhigungs- und Bluthochdruckmitteln sowie von Magensäure-Blockern wurden gefunden. Eine weitere Studie der Universität Heidelberg ergab, dass sechs Prozent Johanniskraut eingenommen hatten, ohne dass der Arzt darüber aufgeklärt war.

Dies kann unter Umständen lebensgefährlichen Folgen haben. „Nehmen Patienten beispielsweise neben Johanniskrautextrakten auch andere Medikamente ein, muss die Dosierung um bis über das Zehnfache gesteigert werden“, sagt Haefeli. Denn Johanniskraut führe zu einem schnelleren Abbau von Medikamenten in der Leber. Nähmen beispielsweise Transplantationspatienten Mittel gegen Abstoßungsreaktionen ein, könne der Behandlungserfolg bei einer verschwiegenen Johanniskrauteinnahme gefährdet sein. Es drohe der Verlust des transplantierten Organs.Auch die Wirkung der Anti-Baby-Pille könne mit Johanniskrautextrakt beeinflusst werden. „Mir sind zwei Fälle von unerwünschter Schwangerschaft nach Kombination von Johanniskrautpräparaten mit der Pille bekannt“, sagt der Klinische Pharmakologe.

Viele Patienten verheimlichen die Selbstmedikation dem Arzt aber nicht bewusst. Einige glauben, dass von frei verkäuflichen Medikamente keine schädliche Wirkung ausgehen kann, vor allem wenn es sich um pflanzliche Produkte handelt. Andere vergessen schlicht die Medikamenteneinnahme anzugeben.

Vorsicht bei Importen

Vorsichtig sollten Patienten bei der Selbstmedikation auch sein, wenn sie Arzneimittel über das Internet bestellen oder sie aus dem Ausland importieren lassen. „Einige Pflanzenzubereitungen aus Asien enthalten sogar giftige Konzentrationen an Arsen, Blei oder Quecksilber“, sagt Haefeli. Auf den Homepages vieler Internet-Versandhändler suchen Kunden auch oft vergeblich nach ausreichenden Informationen über mögliche Neben- und Wechselwirkungen. Im Zweifel sollte daher immer mit dem Arzt Rücksprache gehalten werden.

Quelle: Stern.de (C)KeyStone